Heute fange ich eine zeitlich wahllose Reihe an, mit dem Titel: “Wie er zu Geld kam.”

Teil 1: Der IBM Enterprise Storage Server 2105, auch genannt “Shark”.

Tatsächlich war ich eine Zeitlang europaweiter (EMEA) Sales Leader für Storage Systeme im Bereich Telekom, Medien und Energieversorger, weil ich die jugendliche Hybris hatte, mich ein wenig mit der Industrie auszukennen. Und so sagte ich – es war Ende 2000 – meinem dann zukünftigen Chef Jerry aus Amsterdam: “Let me do dis und gif me money!” 🤑

Ich hatte vom PR-Geschäft damals die Nase voll. Klar, ich hatte es der Bild-Zeitung geschafft, eine Seite-1-Aufmacherschlagzeile über Nanobots zu verkaufen – ja genau das Zeug was ihr jetzt im Körper schwimmen habt! Im Jahr 2000! Der Tagesschau haben die Vorzüge unseres großen Linux-Labors in Böblingen angedreht – immerhin 30 von 1500 Entwicklern dort hatten tatsächlich irgendwas mit Linux auf dem Mainframe gemacht, also nicht ganz gelogen. Und das Wall Street Journal hatte dank mir eine Seite-1-Schlagzeile über einen Milliarden-Chipdeal mit einem shady Distributor aus München, und diese Story hat es wohl geschafft, die heilige blaue Aktie an dem Tag um 3 Dollar nach oben zu bewegen. Mammon, Fame, Moloch – es war ein Flow.

Aber PR fühlte sich dreckig an. Kurz gesagt: Ich wollte meine Seele mit Sales-Seife reinwaschen – und reich werden. Nicht dieses Deutsche Reich, sondern das andere reich, ihr wisst schon: Akzelerator 8 bei Überperformance. Stinkereich, mit Südfrankreich, Mansions, Dollarscheinen und all dem. Pablo Escobar als Vorbild, jawoll!


2001: Dachterrasse statt A81.

Ich landete also wieder in meiner nahezu verlassenen Dachterrassenwohnung in München und nicht mehr in der untergemieteten PR-Manager-Drei-Zimmer-Wohnung an der A81 in Sindelfingen am Goldberg – ja, wirklich! Ich hatte sogar eine Assistentin, die in die Jahre gekommene Katja. Sie war ein bisschen wie Miss Moneypenny, allerdings mit der charmanten Direktheit eines westfälischen Baggerfahrers. Katja machte Termine, verleugnete mich gekonnt, wenn ich lieber spazieren war oder im Fitnessstudio gegenüber von der Polizeikaserne (“Blah blah Besprechung, you know”) – und brachte sogar ab und zu einen Kaffee. Für 31 – also ich, nicht Miss Moneypenny – war das schon ganz nice.

Mein Büro – dafür daß es in Ramersdorf auf die Industriebrache schaute – war ein Traum:

  • Büro mit Holztäfelung: ✅ Check!
  • Vorzimmerdame: ✅ Check!
  • Parkplatz und direkter Aufzug: ✅ Check!
  • Privater Drucker: ✅ Check!
  • Mehr Grundgehalt: ✅ Check!
  • Sales-Team: Null. Mist. 🤖

No Sales Team, No Money. Denn vom Grundgehalt lebt man im Sales einfach nur ganz ganz karg. Da ist dann nix mit Südfrankreich, maximal Bayrischer Woid wäre dann drin. DAS DARF NICHT SEIN! 

Das Ziel war also Influencing: Ich musste das bestehende Salesteam im EMEA-Comms Sector-Bereich – immerhin 400 Leute – irgendwie dazu bringen, den Enterprise Storage Server 2105 zu verkaufen. Das Ding war in der Theorie super: Viele Terabytes and Daten aus allen Ecken des Datacenters vom Mainframe bis zur Unix-Gurke konnten dort emsig und wieselflink gespeichert werden, man konnte Schnappschüsse machen und alles auch noch spiegeln, dies das – so der Prospekt. Doch die Wahrheit war: Der Shark war wie ein Zementsarg, den niemand haben wollte. Wir reden von einem 2x2x2-Meter-Schrank, der technisch… naja, sagen wir mal, ausbaufähig war.

Verkaufen war fast ein Ding der Unmöglichkeit: Stückpreis eine Million Dollares, und außerdem unbekannt und all das. Die Konkurrenz – allen voran EMC2 war gar nicht mal so schlecht aufgestellt und wer einmal was von denen hatte, hat auch einfach weiter gekauft, weil – wozu ein Risiko eingehen?

Also verkauften wir ihn nicht – wir stellten ihn einfach hin! Wir nannten es “Try and Buy”: “Hey, der Schrank passt doch wunderbar in Ihr Datacenter. Und überhaupt, wo sonst sollen Sie all Ihre Daten lagern?” Dazu gab es Finanzierung, die meine Commission um 11 % erhöhte. Die Sales-Teams fanden es plötzlich gar nicht mehr so schlecht, und wir warfen noch mit Boni um uns. Hauptsache, der Platz im Datacenter war belegt.


Loaner Sharks und andere Raubtiere.

Wir nannten das ganze Konzept Loaner Sharks – eine Anspielung auf Loan Shark (Miethai). Und ja, wir haben die Datacenter Europas vollgeknallt, kam was da wolle. Denn wo ein Shark stand, war physisch kein Platz mehr für die Konkurrenz. Er war einfach zu fett! Die Kunden fanden das mit der Miete oder dem Try and Buy praktisch, weil es ihr Credit Rating nicht versaut hat, und wir fanden es großartig, weil die Kasse stimmte. Und die Bank hat es finanziert. Es war ein Geldwunder!


Manche Wunden heilen nie.

Nicht alle Kunden waren begeistert. Eine größere Bank in Deutschland machte eine Großbestellung, weil das gerade so im Finanzierungsrahmen war – Wunder des Kombideals –  und ein gewisser Herr Annuschke (Name geändert) könnten ein gar garstig Lied davon singen. Bei Plätzchen und Grappa erzählte mir der spätere Vorstandsvorsitzende erst letztes Weihnachten: “Zehn Jahre Aufräumen…” murmelte der Vorstand, während er einen sich ein weiteres Stück Dresdner Stollen auf das Zwiebelmuster schob und dann mit Glühwein nachgurgelte. Ich lenkte schnell ab, schenkte extra noch Grappa nach und wechselte zum Thema Immobilien. Manche Wunden sind einfach zu tief für Weihnachtsplätzchen.


2001: Erfolg und der 5er-BMW.

Nach einem holprigen Start klappte es schließlich: Die Sharks funktionierten, Erweiterungen wurden verkauft, und die Datacenter füllten sich. Danke, Vladimir aus Mainz – ohne ihn und seine schlaflosen Nächte im Datacenter wäre alles ein Desaster geworden. (Wie er nebenbei drei Kinder zeugte, bleibt uns allen ein Rätsel.)

Am Ende stimmte die Kasse: Ich dachte über Sondertilgungen nach, gönnte mir einen 5er-Bimmer und stand auf der Dachterrasse, schaute über die Münchner Isarauen und auf die Heiligkreuzkirche und dachte: “Das Leben ist schön – zumindest, solange die Sharks schwimmen.” – vielleicht sah man gerade ihre Flossen am Flaucher vorbeigleiten, dachte ich mir und nippte an meinem Drink.