Über Adlige, 25. März 2013
Natürlich wissen wir alle, wie eine Regierung der Unfähigen aussieht: Die Herren tragen Uniform mit Monokel, sie haben einhellig ein “von” im Namen und Grafen-, Fürsten- oder sonstige Titel. Sie sind Militärs aus Leidenschaft, kennen das Leben ihrer Untertanen nur aus gelegentlichen Besichtigungen. Sie bewegen sich nur dort zu Fuß, wo es unumgänglich ist und leben in einer streng abgeschirmten Welt. Und ja, sie erlassen nach Lust und Laune Gesetze, die nur beschränkt in die Realität umsetzbar sind.
So sehen wir das in Filmen, so wird uns der Adel vorgeführt. Das Volk darbt und bezahlt Steuern, die Obrigkeit praßt und feiert Feste.
Gab es das wirklich? Oh ja, das kam durchaus vor. Hin und wieder genoß der Adel ein ausschweifendes Leben, nicht anders als reiche Erben, die alles aufbrauchen, was ihre Vorfahren erarbeitet haben. Das war aber nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Der kleine Landgraf, der ein eigenständiger Landesherr war, der einen Landkreis regiert hat mit nicht einmal 50.000 Untertanen, mußte für die Zukunft planen, für seine Söhne und Enkel. Da gab es kein Verprassen, sondern kluges Investieren, Vorsorgen, Auf- und Ausbauen.
Betrachten Sie den Adligen als einen Firmenchef, mit 300 Angestellten und 100 Millionen Euro Jahresumsatz. Das klingt zunächst sehr viel, es reicht für eine Villa und einen großen Wagen, für einen gehobenen Lebensstandard. Ein Segelboot auf dem Ammersee ist noch drin, eine Yacht in Monte Carlo jedoch nicht mehr. Diese Sorte Unternehmer fährt ihr Auto lieber zwei Jahre länger und kauft von dem ersparten Geld eine neue Maschine.
Diese Leute sind nicht arm, es geht ihnen deutlich besser als ihren Angestellten, aber ihre Bäume wachsen nicht in den Himmel. Der durchschnittliche Adlige mußte es genauso halten. Wenn er einen Eichenwald anpflanzen ließ, dann wußte er, daß dieses Land erst in hundert Jahren Gewinn erwirtschaftete. Er tat es trotzdem, weil er wußte, daß seine Urenkel Bauholz benötigten. Der Adlige mußte repräsentieren, aber zugleich an seine Staatskasse denken. Ein teueres Feuerwerk gab es nicht als Untermalung einer sommerlichen Lustbarkeit, sondern bei der Heirat, beim zehnjährigen Regierungsjubiläum oder zu ähnlich herausgehobenen Anlässen.
Sogar Prunkbauten verfolgten ein politisches Kalkül. Das Schloß von Versailles verherrlichte nicht nur König Ludwig XIV., es band zugleich die Adligen an seinen Hof und sorgte dafür, daß der Landesherr sie unter seiner Kontrolle hatte. Wenden wir uns dem Musterbeispiel des Militäradels zu, den Preußen. Die preußischen Landadligen waren keine Landes-, sondern nur Gutsherren. Der erste Sohn gehörte dort dem Gut, also dem väterlichen Erbe. Der zweite Sohn gehörte dem König, der ging zum Militär und wurde Offizier. Den dritten Sohn bekam die Kirche, der wurde Pfarrer.
Der Adel genoß Steuerprivilegien, gewiß, selten wird jedoch darauf hingewiesen, daß mit diesem Privileg auch eine Pflicht verbunden war: dem König Soldaten zu stellen. Der Herr Oberst ritt einem Regiment seiner eigenen Bauern voran, er riskierte in einer Schlacht sein eigenes Vermögen, die Arbeitskraft auf seinen Ländereien. Ein Feldzug war nicht das ersehnte Bad in Pulver und Blei, das dem Anführer zu Ruhm und Unsterblichkeit führte, sondern ein wirtschaftliches Wagnis, das niemand leichtfertig auf sich nahm.
Diese Situation herrschte im Mittelalter und nach dem Dreißigjährigen Krieg, dazwischen gab es die Söldnerheere der Landsknechte. Wer bei den Landsknechten in der Schlacht fiel, den brauchte sein Hauptmann nicht mehr zu bezahlen, doch Hauptleute, die ihre Truppen sinnlos verheizten taten sich schwer, ihre gelichteten Reihen wieder aufzufüllen. Erst unter Napoleon erreichte die Menschenverachtung die militärische Führung. Die Volksheere waren gesichtslose Massen, zusammengezogen aus allen Teilen des Landes. Der Kaiser der Franzosen war ein Emporkömmling, er führte keine Untertanen, deren Großväter schon seinem Großvater gedient hatten, sondern Menschen, die von den Wirren der Revolution in die Armee gespült wurden. Er führte das Heer einer Demokratie, eingesetzt und geopfert wie Schachfiguren.